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Mittlerweile ist es eine Tradition, dass ich euch zu Weihnachten, dem Fest der Liebe, von ganz besonderen Menschen erzähle.
Amerika hat seine Disney Filme produziert, hier in Dietzenbach erzählt unsere blaue Bank wahre Geschichten aus dem Leben und erinnert an das, was wirklich zählt.
Der Mensch in seinem prachtvollen Sein.
Ungeachtet wie stürmisch das Leben einen fast von den Füßen katapultiert gilt es, wieder aufzustehen und schlicht zu versuchen, ein guter Mensch zu sein.
Seinen Anteil in unserer Gesellschaft zu leisten, schlicht sein bestes zu geben was immer es auch sei.
Ungeachtet, was an Begabungen und Charakter vorhanden ist, entsteht das Gute immer aus dem Herzen heraus.
Immer!
… Und ein Herz hat jeder, sonst könnte man nicht leben.

Während ich diese Geschichte schrieb, hatte ich oft nicht nur Pipi in den Augen gehabt, sondern geweint.
Das ist keine Geschichte geschönt oder fantasievoll ausgedacht.
Das ist eine Geschichte eines Menschen mitten unter uns.
Direkt in unserer Nähe.
An unserer Seite im unermüdlichen Einsatz, trotz oder gerade wegen seines steinigen Lebens.
 (Bitte anklicken und dann weiterlesen)

Es ist mir eine Ehre euch unseren König der Löwen vorzustellen

Die Würde und das königlichem Geblüt von der Mutter.
Die Klugheit vom gelehrten Vater.
Die Weisheit aus der Brutalität des Lebens.
Ich stelle euch einen Mann vor, der wahrlich großes unserer Stadt bietet, was man nicht aus Büchern lernen kann.

Hossein Mehranfard, Leiter des Boxprojekts / Gewaltprävention in Dietzenbach.
Quellenangabe: Artikel erschienen in der Offenbach-Post vom 7. September 2017, Autor Christian Wachter.

Auf Umwegen kam ich zu Hossein.
Waren es Umwege oder schlicht der richtige Weg und die logische Konsequenz?
Da saß ich nun im Ring mit knapp 50 Jugendlichen des Boxprojekts Dietzenbachs.

Es war später Nachmittag. Das Training war vorbei.
Dennoch benahmen sich die Jugendlichen höflich und diszipliniert. Kein Getobe und Gekreische wie auf dem Schulhof.
Jeder Einzelne begrüßte mich mit einer leichten Verneigung und Händeschütteln.
Jeder. Unaufgefordert!
So höflicher und respektvoller Umgang ist selbst bei Erwachsenen nicht selbstverständlich.
Alle Mann in den Ring und zuhören, wurde anstandslos umgesetzt.
Kein Gerangel, kein Gemurre, kein lauter Ton.

Ich schaute auf Hossein der sich neben mich setzte als ich vermutlich stinkelangweilig von der blauen Mitfahrerbank erzählte und um Mithilfe warb.
Diese jungen Menschen hörten mir zugewandt zu. Schauten mich an und waren konzentriert dabei.
Anhand ihrer Fragen konnte ich erkennen, das sie zumindest höfliches Interesse zeigten.
Diese Qualität bekomme ich nur mühsam mit vielen Techniken mit einer Handvoll kultivierter Erwachsener hin. Hier wird mir gezeigt, wie es mit knapp 50 Rabauken geht.
Kein strafender Blick seitens des Trainers.
Keinerlei Anweisungen „tu dies, tu das und jenes lass.“ Wie macht er das?

Ich wollte Hossein näher kennenlernen.
Ich wollte schlicht wissen, wie er aus dieser Vielzahl heranwachsender Menschen das Beste herausholen kann.
Was ist sein Geheimnis?
Das war mein profaner Ansatz.
Ich traf mich mit Hossein Mehranfard und musste oft tief Luft holen, um nicht zu weinen.
So sehr berührte mich seine unglaubliche, spannende und außerordentlich berührende Geschichte.

Bis zu meinem 9 Lebensjahr bin ich außerordentlich behütet und in Luxus lebend in Tehran mit meinen beiden jüngeren Schwestern aufgewachsen.
Meine Mutter stammt aus königlichen Geblüt und war ein Leben in Luxus und Personal gewohnt.
Mein Vater war ein gelehrter und erfolgreicher Mann.
Durch seine kritische Haltung zur Regierung wurde er häufig schikaniert und in Haft genommen.
Eigentlich hätte ich die Zeichen unseres Weggangs erkennen müssen.
Es traf mich jedoch wie ein Schlag.
Eigentlich der erste Punch.
Der erste harte Schlag ohne Deckung in ungemildeter Härte.

Wir ließen alles zurück. Auch meine geliebten Großeltern, die mir alles bedeuteten.
Alles, was mir bislang Sicherheit geboten hatte, alles, was mein Selbstbewusstsein hatte wachsen lassen war weg.
Von einem Tag auf den anderen war mein Leben komplett aus den Fugen geraten.
Blind vertraute ich meinem Vater, der bislang alles geregelt hatte und uns als Familie klug führte. Wir folgten ihm, ohne irgendetwas in Frage zu stellen.

Ein Großteil der Familie war schon in die USA ausgewandert.
Das war das erklärte Ziel.
Um dorthin zu kommen, musste man über Ankara ein Visum beantragen.
Mein Vater quartierte unsere 5-köpfige Familie in einem heruntergekommenen Hotel ein.
Dort lebten wir mehr oder weniger auf der Straße ohne Schule, ohne Arbeit ohne eine Aufgabe.
Mein Vater kämpfte für unser erklärtes Zeil. Er lehrte uns parallel die englische Sprache und konditionierte unseren Willen nicht aufzugeben.

Eine wichtige Lektion. Eine Vielzahl seiner damaligen Aussagen nutze ich noch heute, wenn ich mit meinen Jugendlichen arbeite.

Nach einem Jahr ging uns das Geld aus.
Wahre Armut stellte sich ein.
In unserer Not reisten wir zu meinem Onkel nach Deutschland.
In der Nähe von Bad Schwalbach zogen wir in ein Flüchtlingslager ein.
Menschen aus allen Herren Länder waren dort vertreten.
Von dort aus wurden die Flüchtlinge innerhalb Deutschlands verteilt.
Für mich als Kind fühlte sich das wie Gefängnis an.
Eingepfercht ohne Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte beraubt wurde entschieden, wo und wie unser Leben weitergehen sollte.
Heute als Erwachsener verstehe ich vieles mehr, jedoch als Kind war es brutal und ohnmächtig.

Wir wurden in eine 5000 Seelengemeinde in ein Dorf nahe von Würzburg geschickt. ‚
Du kannst dir nicht vorstellen wie das 1989 in diesem erzkonservativen und katholischen Dorf ohne Erfahrungen mit Ausländer war.
Heute ist ein multikulturelles Sein ein durchaus gängiges Bild.
1989 wurden wir behandelt wie Aussätzige. Wie Störfaktoren.
Wir waren auf einmal mit Ausländerfeindlichkeit in höchster Form konfrontiert.
Die Armut seit unserer Flucht hätte ich leicht weiter ertragen, aber diese Feindseligkeit und Ablehnung hat mir schier den Boden unter den Füßen weggezogen.

Mein kluger Vater hat das erkannt und mich in einem Boxclub angemeldet.
Das Schlagen gegen Sandsäcke hatte etwas befreiendes.
Es war noch nicht einmal so, dass ich mir den Sandsack als einen der feindseligen Menschen vorgestellt habe, um deren „Kanaken“ und „Verpiss Dichs“ rauszuprügeln.
Boxen war ein wunderbares Ventil.
Ich boxte und trainierte, als gäbe es kein Morgen mehr.
Das Boxen war nicht nur ein Ventil, sondern richtete mich auf.
Boxen gab mir in jeglicher Form Kraft und Rückgrat, drückte meine gebeugten Schultern durch.
Das Boxen verlieh mir wieder einen aufrechten und würdigen Gang.
Ich glaube, dass damals schon die Körperhaltung, das Nonverbale ein wesentlicher Faktor war, dass ich weitestgehend von den Prügeleien und Übergriffe im Lager verschont geblieben bin.
Ich strahlte aus, was ich mir hart im Training erarbeitet habe.
Ich war ein Kämpfer, der nicht zwingend kämpfen musste um seine Stärke unter Beweis zu stellen.
Ich wurde mit jedem Training am Sandsack, mit jedem joggen, mit jedem Kampf stärker in jeder Beziehung.
Ein Phänomen ist beim Boxen, dass je stärker man durch das Training wird, desto weniger muss man kämpfen.
Wenn es nicht anders möglich war, musste ich nicht mehr bis zur bitteren Neige kämpfen, denn nach einem oder zwei Punches war klar, ich könnte wenn ich wollte meinen Gegner richtig platt machen. Das sprach sich rum und bot mir einen unsichtbaren Schutzschild.

Längere Zeit im Lager zu leben bedeutet stetig wachsendes Gewaltpotential.
Es wurde um Kleinigkeiten gestritten, geprügelt und gekämpft.
Für meine Mutter, die Respekt und ein Leben auf hohem Niveau gewohnt war, war dies der blanke Horror.
Dennoch hielten uns unsere Eltern bei jeder Mahlzeit zur Dankbarkeit an.
Es wurde gegessen, was auf den Tisch kam, egal wie es schmeckte.
Seinerzeit gab es keine Integrationskurse oder Hilfestellungen wie es sie heute gibt.
Ich kann mich erinnern, dass mein Vater im Winter mit dem Rad von Dorf zu Dorf durch die bergige Landschaft Bayerns gefahren ist, um Arbeit zu bekommen.
Wenn er tiefgefroren nach vielen Stunden wieder zurück kam, klebten Eiszapfen an seinem Bart. Dieses Bild ist noch sehr präsent.

Wir lebten ein Jahr in diesem Lager bis mein Vater eine Arbeit gefunden hatte und zogen in einen heruntergekommenen Bauernhof.
Das war wahrlich ein Saustall und definitiv nicht würdig um Menschen ein Heim zu bieten, aber wir waren glücklich.
Endlich ein eigenes Zuhause.
Für uns war es wichtig und ein wesentlicher Fortschritt.
Meine Mutter zog sich immer mehr zurück.
Es war nicht, weil sie den Luxus und die Bedienstete vermisste.
Sie schämte sich gotterbärmlich. Sie schämte sich und ging nicht mehr außer Haus.
Sie konnte die feindseligen Blicke und Beschimpfungen nicht ertragen. Das hat ihr am meisten zugesetzt.

1994 wurde der Fleiß und nimmermüden Einsatz meines Vaters belohnt.
Er bekam eine Anstellung am Frankfurter Flughafen.
Für mich war das wie seinerzeit die Flucht aus dem Iran.
Es fühlte sich an wie von einem Tag auf den anderen.
Ich wurde erneut entwurzelt und entfremdet.
Gerade habe ich mich eingelebt, Freunde und Akzeptanz gefunden und schon musste ich wieder bei Null anfangen.
Das war grausam.

Wir zogen nach Niederrad. Dort zu leben war kein Vergleich wie in der kleinen dörflichen Gemeinde, jedoch musste ich mich in dem Vorort der Großstadt mindestens genau so durchboxen.

Meine erste Handlung war mich in einem Boxverein anzumelden.
Ich fand den Polizeisportverein in Frankfurt.
Dort bin ich heute noch Trainer und Vorstandsmitglied. Dazu aber später mehr.

Mein Vater erhielt nur einen Jahresvertrag am Frankfurter Flughafen.
Somit standen die Zeichen erneut auf Sturm, als der Vertrag nicht erneuert wurde.
Kurz vor meinem 16 Geburtstag beschloss mein Vater, dass er mich zum Profiboxer machen wollte.
Er zog mit mir alleine nach Sacramento Kalifornien und ließ meine Mutter und meine beiden Schwestern zurück.
Ich muss nicht erwähnen, dass niemand groß dazu gefragt worden ist.
Meine Mutter liebte meinen Vater abgöttisch und wir Kinder waren es so gewohnt, dass unser kluger Vater immer alles gerichtet hatte und haben ihm somit auch hier erneut blind vertraut.

Amerika war für mich großartig wenn auch richtig hart. Wir waren ärmer denn je.
Ich habe wie blöd trainiert.
Morgens vor der Highschool bin ich laufen gegangen.
Nach der Schule bin ich in den Boxclub und habe geputzt um die 5 Dollar zu verdienen, die der Boxclub pro Tag gekostet hat.
Wenn ich mal nicht putzen konnte, weil ich länger Schule hatte, dann habe ich durch die Fenster beobachtend die Trainingseinheiten nachgemacht.
Einmal hat mich der Trainier reingeholt, weil er das nicht ertragen konnte das anzusehen, jedoch musste ich die 5 Dollar nacharbeiten.
Geschenkt wurde mir das Training nicht.
Wenn ich heute sehe, dass die Jungs eigentlich nur aus dem Hochhaus rausfallen und in unsere Boxhalle reinfallen müssen, um kostenlos zu trainieren, ist das hier purer Luxus den sie nur mit guten Noten und gutem Benehmen bezahlen müssen.

USA war sensationell.
Sportlich und menschlich war das eine tolle Zeit.
Ich habe in jeglicher Hinsicht Kraft getankt und war sehr erfolgreich.
Mein Vater schien auch sehr erfolgreich zu sein und umgab sich mit wohlhabenden Menschen.
Wir waren oft in Reno. Eine unglaubliche Stadt.
Ich weiß nicht, ob es meiner kindlichen Naivität geschuldet war oder meinem blinden Vertrauen meinem Vater gegenüber, jedoch wurde auch diese Unachtsamkeit oder kindliche Naivität ganz böse bestraft.

Mein Vater war drogenabhängig.
Das habe ich erst registriert, als ich in aller Brutalität mit den Auswirkungen konfrontiert wurde.
Das verdiente Geld reichte vorne und hinten nicht mehr für seine Sucht, geschweige denn für das ganz banale Leben.
Entsprechend waren die Auswirkungen.
Innerhalb kürzester Zeit waren wir am Ende.
Wir reisten zurück nach Deutschland. Ach was sag ich. Wir flohen erneut, nur diesmal aus ganz anderen Gründen.
Niemand von uns in der Familie war in der Lage diese schlimmste Talfahrt ins Verderben zu stoppen.

Wenn ich bislang Armut und die Zeit im Flüchlingslager überlebt hatte, so zog uns die Drogensucht meines Vaters mit ins Verderben.
Kannst du dir vorstellen wie das ist, wenn Stück für Stück deines Zuhauses dein Leben verlässt.
Die Wohnung war fast leer.
Die Gläubiger gaben sich die Türklinke in die Hand.
Zu essen gab es kaum und meine Mutter folgte meinem Vater in die Drogensucht, anstatt uns vor diesen Auswirkungen zu schützen.

Ich schluckte schwer und hörte auf zu schreiben.
„Ich brauche eine kurze Pause,“ sagte ich Hossein und putze mir die Nase.
Eine Gänsehaut lief mir über den ganzen Körper.
Wenn ich bislang Sorgen hatte ohne Arbeit in die Zukunft zu schauen oder sonstige oberflächliche Befindlichkeiten, so ist das lächerlich im Vergleich zu diesem Gefühl das sich beklemmend nur beim Zuhören dieser Lebensgeschichte einstellte.

Weisst du wie die Auswirkungen von Drogen sind, fragte mich Hossein und nahm den Faden wieder auf.
In der schlimmsten Suchthölle zeugten meine Eltern ein Kind.
Mein kleiner Bruder hat mit seinem ersten Atemzug schon den ersten harten Kampf gewonnen.
Heute ist dieser wunderbare Junge einer der erfolgreichsten Boxtrainer in Frankfurt und hat selbst etliche Meisterschaften gewonnen.

Damals musste ich ertragen dieses kleine Baby mit meinen drogensüchtigen Eltern am Bahnhof zu sehen.
Diesen Anblick konnte ich kaum ertragen und ist heute noch fest in meinem Kopf.
Ich bin vielleicht auch gerade aufgrund dieser Erlebnisse, dieser Bilder mit meinem Bruder verbunden, als wäre er mein eigenes Kind.

Im gleichen Jahr als mein Bruder geboren worden war, ist mein Vater gestorben.
Mit 200 Stundenkilometern ist er gegen einen Baum gefahren.
Er hatte während seines Versuchs des Drogenentzugs Krämpfe bekommen und konnte das Auto nicht mehr steuern.

Ich wurde von der Polizei abgeholt, um meinen Vater zu identifizieren.
Der Auftakt zur Hölle.
Ab da ging es Schlag auf Schlag, wofür es keine Deckung gibt, um sich zu schützen.
Mein Vater, der sich immer um alles gekümmert hatte war tot.
Mein Vater, der immer irgendwie, auch im schlimmsten Drogenkonsum, irgendwie die Familie aufrechterhalten hatte war tot.
Nicht mehr da.
Keiner von uns war in der Lage sich zu kümmern.
An wen sollten wir uns wenden?
Das hatte alles unser Vater getan.
Woher das Geld kam.
Wir hatten von allem nicht die leiseste Ahnung.
Wir sind ihm immer nur blind als Rudel gefolgt.
Wir haben ihm blind und taub vertraut.
Diese kindliche Naivität hat uns alles genommen.
Kurz nach dem Tod meines Vaters stand ich vor unserer versiegelten Haustüre.
Die Schlösser ausgetauscht.
Nur die Kleider die ich am Leib trug.
Völlig unvorbereitet, denn ich wusste nichts von Kündigungsschreiben und letzten Fristen.
Kurz nach meinem 18 Geburtstag mitten im Winter 1998 verlor ich mein Zuhause, mein Dach über den Kopf.
Ich ging zur Polizei und stellte ihnen die Fragen: Wo soll ich hin? Wer ist für mich da? Wo kann ich schlafen? Was kann ich tun.
Meine Schwestern, das Baby und meine Mutter gingen ins Frauenhaus.
Bei mir zuckten die Polizisten die Schultern.
„Tut uns leid, mein Junge,“ waren deren bedauernden Worte, „du bist volljährig, da greift das Gesetz nicht mehr.“
„Wir können leider nichts für dich tun.“ „Versuche es bei der Bahnhofsmission.“

Ab da lebte ich wie unter Narkose.
Zuerst schlief ich in Bankgebäuden, da ich mit meiner EC Karte die Türen öffnen konnte.
Die einzige Konstante in meinem Leben blieb das Boxen.
Außer den Kleidern die ich trug, hatte ich nichts mehr.
Ich hatte im wahrsten Sinne des Lebens auf einen Schlag alles verloren.

Über ein Jahr lebte ich auf der Straße.
In diesem kleinen Satz steckt so viel Elend, soviel Einsamkeit, so viel Hoffnungslosigkeit, dass es die Luft zum atmen nimmt.
Du kannst dir nicht im entferntesten vorstellen, was das bedeutet besonders im Winter.

Mein Sandsack und der Ring waren mein Zuhause, meine Zuflucht mein Fels in der Brandung.
Das war meine Therapie und gleichzeitig mein Rettungsanker.
1999 verhalf mir meine Schwester zum betreuten Wohnen.
Das bedeutete, dass ich eine Wohnung zugewiesen bekam, als auch einen Betreuer, der die Aufgabe hat, mich zurück ins Leben zu führen.
Ich hatte eine unglaublich engagierte Betreuerin, der ich viel verdanke.
Am Wochenende gingen die anderen in die Disko und umgaben sich mit Mädchen.
Ich kämpfte am Wochenende und verdiente Geld als Türsteher.
Mit gebrochener Nase oder blauen Auge hatte ich keine Lust auszugehen oder mich als Türsteher irgendwelchen Fights hinzugeben.
Ich wusste ohnehin, dass ich sie weghauen könnte, wenn ich das wollte.
Das war glaube ich mit jeder Faser meines Seins spürbar.

Ich hatte ein Dach über den Kopf und einen Job. Gott, war ich glücklich.
Ich wurde 3 x Hessenmeister, 1 x bayrischer Meister und Frankfurter Stadtmeister.
Ich bin kein großes Boxtalent, jedoch will ein Gegner nie mehr gegen mich kämpfen, auch wenn er gegen mich gewonnen hatte.
Ich war zufrieden.
Meine Betreuerin nicht.
„Junge, das kann noch nicht alles gewesen sein.“
„Du musst was vernünftiges Lernen.“
„Du kannst nicht ewig boxen und Türsteher sein.“
Sie gab einfach nicht auf, mich mit Adressen für mögliche Ausbildungsbetriebe zu nerven.
Sie war eine unglaublich engagierte Betreuerin.
Bei ihr gab es keine Büroöffnungszeiten.
Sie war immer für mich da.
Vielleicht war das der Grund, warum ich mich Ihr zuliebe bei einem Metallbauer vorgestellt habe.
Ich wurde genommen.
Einer meiner Verhaltensformen ist: Ich funktioniere wie ein gutes Uhrwerk, wenn ich zu etwas ja gesagt habe.
Ohne wenn und aber.
Schaue dir meine Hände an, sprach Hossein und zeigte mir seine Hände von der Innenseite.
Das sind Mädchenhände.
Definitiv nicht geeignet für Handwerksberufe.
Ich mag weder schrauben, noch sonstige handwerkliche Tätigkeiten.
Wenn ich etwas angefangen habe, dann gebe ich alles, um es bestmöglich zu Ende zu bringen.
So auch bei meiner Ausbildung.
Mein Ausbilder war verzweifelt über meine Talentfreiheit, jedoch gleichermaßen begeistert von meinem Willen.
Was ich nicht wusste, fand ich heraus.
Was ich nicht konnte, übte ich, bis ich es konnte.
Mit irgendwie habe ich mich nicht abgefunden, sondern immer das Bestmögliche versucht.

Ich habe nie gefehlt, obwohl ich jeden morgen vor der Arbeit in Ginnheim laufen ging, nach der Arbeit von Fechenheim nach Frankfurt Stadtmitte ins Training fuhr und ab Mittwoch als Türsteher weiter gearbeitet habe. Selbstverständlich trug ich auch weiterhin am Wochenende Kämpfe aus.
Dennoch habe ich keinen Tag gefehlt.

Ich bin stolz auf das, was ich mir erarbeitet habe, denn nichts wurde mir geschenkt.
Anfänglich fuhr ich noch mit öffentlichen Verkehrsmittel.
Sehr viel später habe ich mir meinen Führerschein selbst finanziert.
Für dich mag sich das banal anhören.
Für mich bedeutete der Führerschein weitere Arbeit, denn ich dachte, wenn ich mobil bin, finde ich auch Arbeit.
Jede Arbeit bedeutet Sicherheit und Dach über den Kopf, Essen, Trinken und trainieren.
Mein Vater war tot.
Niemand da, der sich um mich kümmert, als ich selbst. Also musste ich etwas tun.

Nie mehr lasse ich es zu so arm zu sein, oder besser gesagt so hilflos zu sein, so ohnmächtig, so überrannt..
Nie mehr!

Meine Ausbildung habe ich als Jahrgangsbester abgeschlossen und sofort nach Beendigung der Ausbildung aufgehört in diesem Beruf zu arbeiten.
Eine Ausbildung als Metallbauer in der Konstruktionstechnik zu machen ist eine Sache.
Das mein Leben lang zu tun, auf keinen Fall.

Ich wurde Fahrer bei den Mainkrokodilen in Sachsenhausen.
Das ist ist eine Einrichtung für Kinder mit und ohne Behinderung von der Krabbelgruppe bis zur Teeniegruppe.
Ich holte die Kids von zuhause ab und brachte sie wieder heim.
Teilweise waren schwierige Kids dabei.
Sinti und Roma mit Handies die fast so viel gekostet haben, wie ich im Monat verdiente.
In dieser Zeit erkannte ich das erste Mal, dass ich einen Zugang zu schwierigen Kids habe.
Sie hörten mir zu.
Sie respektierten mich und sie folgten meinen Empfehlungen.
Das ist auch der Schulleitung positiv aufgefallen.
Einigen konnte ich dadurch die Starthilfe in eine gesunde Richtung geben.

Ich fand mein Leben toll.
Als Türsteher stand ich ganz hoch im Kurs bei Frauen, jedoch waren das keine Frauen zum heiraten.
Ich spürte aber, dass ich genau dazu reif war.
Ich wusste irgendwann sehr genau, dass ich heiraten wollte.
Ich wollte lieben und geliebt werden.
Ich wollte Familie.
Ich wollte mich um meine Familie kümmern, sorgen.
Ich wollte ein Heim und kein Dach über den Kopf.
Ich wollte Herzenswärme.

Das findet man nicht als Türsteher, im Bus oder im Ring. Dazwischen war wenig Raum.
Ich glaube nicht wirklich, jedoch bin ich zutiefst dankbar, wie scheinbar immer zur rechten Zeit sozusagen die Rettung kommt.
Ob das Boxen, Betreuer, Arbeitsstellen oder meine heutige Frau.
Ich traf sie zufällig.
Gewohnt im Umgang mit den bisherigen Frauen wollte ich sie zügig küssen und bekam ‚Bam‘ eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte.
Kein Mann, egal wie groß oder wie stark hätte sich das je gewagt.
Diese Frau schon.
Während ich mir noch die Wange von der unerwarteten Schelle hielt, hätte ich schon niederknien können, um dieser Frau einen Antrag zu machen.
Respekt muss man sich verdienen, oder wie in diesem Fall klar fordern.
Wir haben geheiratet und drei wunderbare Kinder zur Welt gebracht.
Zwei Söhne und eine Tochter.
Meine Frau hat mir gezeigt, was Liebe ist.
Meine Frau gab mir Halt.
Meine Frau liebt mich, kümmert sich um mich, wie sich Menschen umeinander kümmern.
Durch sie habe ich erlebt, dass ich das alles bei meiner Mutter nicht hatte.
Auch nicht bei meinem Vater, auch wenn ich in meiner Kindlichkeit das dachte.

2 Jahre nach der Hochzeit konnte meine Frau es nicht mehr ertragen mich nach den Kämpfen verletzt zu sehen.
„Musst du noch selbst in den Ring steigen, oder kannst du dein Talent im Umgang mit Menschen nicht als Trainier nutzen,“ fragte sie mich.
Ich machte meinen Trainerschein und begann als Trainer bei der Polizeisportschule in Frankfurt.
Ganz besonders für mich war, dass ich meinen kleinen Bruder bis zur deutschen Meisterschaft trainiert habe.
Er ist mein Meisterstück in jeglicher Hinsicht.
Es hat mich unendlich stolz gemacht, dass dieser Mann,der einst unter so widrigen Umständen geboren wurde, so erfolgreich wurde.
Trainer zu sein macht mir unglaublich viel Freude. Bislang habe ich mehrere Hessenmeister hervorgebracht.
Durch meinen Mentor Peter Firner habe ich viele moderne Boxtechniken gelernt.
Noch viel wichtiger für mich war sein Wissen, seine pädagogische Arbeit und wir er beides sinnvoll und sehr erfolgreich miteinander verbunden hatte.
Von ihm habe ich mir sehr viel abgeschaut und wie ein Schwamm aufgesaugt.
Bislang habe ich mit einer Leidenschaft trainiert und fast wie meine eigene Religion unbewusst als therapeutisches Mittel genutzt.
Durch ihn habe ich erkannt, wie ich seine Technik bewusst einsetzen kann, um anderen Menschen damit zu helfen.

Ich setzte mich hin und schrieb ein Konzept.
Es war auf einmal alles klar.
Ich musste nur die Mosaiksteine meiner Erfahrungen zusammenfügen.
Zum ersten Mal war es mir klar, was meine Profession ist.
Vielleicht auch, wofür mir dieses Leben zugemutet worden ist.
Ohne dieses Leben könnte ich mit Techniken den Sport lehren und mit pädagogischen Wissen motivieren und den Verstand dafür abrunden.
Das, was mir dieser Sport gebracht hatte war genau das, was Jugendlichen in schwierigen Situationen wirklich helfen kann und ich weiß, wovon ich dabei rede.

Immer noch als Fahrer, Türsteher und Trainier im Polizeisportclub Frankfurt begann ich ehrenamtlich parallel in Dietzenbach zu arbeiten.
2009 wurde ich Co-Trainer im Boxprojekt Dietzenbach.
Faszinierend war, dass in diesem Boxprojekt nicht nur junge Menschen mit kritischem Hintergrund waren, sondern wie Peter Firner Menschen aus gutem Hause.

Ich kniete mich ordentlich rein, versorgte meine kleine Familie, ging fleißig arbeiten und trainieren, war ehrenamtlich in Dietzenbach tätig und stand 24/7 sozusagen rund um die Uhr meinen Kids zur Verfügung.
Es war mir klar, das ist was ich wirklich machen will.
Das ist meine Aufgabe.
Vom Willen alleine und vom Engagement war dies nicht möglich.
Ich musste, um sozialpädagogischer Mitarbeiter werden zu können, ein Studium absolvieren.
Na dann, auch das.
Ich schloss mein Fernstudium mit Erfolg ab.
Diese Mehrfachbelastung nahm ich diesmal ganz bewusst wahr.
Ich versuche die Jugendlichen zur Höchstleitung im Sport aber auch im Leben zu trainieren.
Im Ring bekommen sie schmerzhaft eins auf die Nase, wenn sie sich nicht richtig schützen.
Wenn sie sich konditionell nicht richtig vorbereitet haben, geht ihnen die Puste in den ersten Runden aus.
Der Körper wird trainiert.
Im Leben ist eine Runde länger als 2 Minuten.
Hier durchzuhalten bedarf es eines klaren Verstandes.
Der Muskel Herz und der Kopf, der Wille wird täglich auf einer langen Distanz auf einen ganz harten Kampf vorbereitet.
Die Schläge sind härter als in jedem Kampf.
Dafür bedarf es Mut.
Löwenmut und Kämpferherz in der Königsdisziplin Leben.

Ich bin wahrlich angekommen.

Es hat sich gelohnt dieser Königsdisziplin anzunehmen.
So schwer die Zeiten auch waren, sie haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin.
Darauf bin ich sehr stolz.
Diesen Stolz versuche ich den Kids zu vermitteln.
Man kann auch mit hoch erhobenen Hauptes durch die Widrigkeiten des Lebens gehen, Verletzungen einstecken, jedoch niemals liegenbleiben.
Aufstehen und weitermachen.
Deshalb passt du blaue Bank so gut dazu.
Demokratische Werte zu vermitteln und Lösungen wie man wieder aufsteht ist wichtig.

König der Löwen und Jeanne d’Courage haben sich gesucht und gefunden.
Es gibt keine Zufälle. Ich freue mich sehr auf die weitere Zusammenarbeit.

Während ich heaven & hell von Ronnie James Dio höre und letzte Korrektur lese ist für mich klar, das ist nicht nur eine Weihnachtsgeschichte.
Ich habe jetzt schon im Kopf, wie der Zauber der blauen Bank mit dem König der Löwen weiter in die Zukunft unserer Gemeinde weitergetragen werden kann.

Ich wünsche euch ein gesegnetes Weihnachten.
Ich wünsche euch berührende Gefühle und kindlich, blanke Augen. Alles beginnt in uns.
Ich versuche es weiter…

Ganz herzlich
Eure blaue Bank, Elke und Pauline….

 

 

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One thought on “Der König der Löwen

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