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Ragazzo della via Gluck

Das Sprichwort besagt, wer ein Handwerk erlernt, hat eine gute berufliche Zukunft und wird viel Geld verdienen: Warum soll der Junge nicht „Schuhmacher“ werden – Handwerk hat goldenen Boden! Zitat aus Peter O. Chotjewitz‘ Roman »Der dreißigjährige Friede«: „Handwerk hat goldenen Boden“

Kurz vor dem Fest der Liebe und pünktlich zum Jahresauftakt 2016 habe ich mich auf den Weg zur liebenswerten Schuhmacherfamilie Vella gemacht.

Ich liebe altes Handwerk und sehe heute noch gerne die Sendung mit der Maus, wenn gezeigt wird, wie etwas hergestellt wird.
Jetzt habe ich die Chance altes Schuhmacherhandwerk und wahrlich von der Pike auf gelernt spannend zu erleben.

Wer kennt ihn nicht, unseren charmanten Carmelo Vella in der Rathenaustraße, der italienische Zauberer der alten Schuhmacherzunft, wenn es um die Heiligtümer jeder Frau geht, den Schuhen.

Vella in der Werkstatt SpaßWie oft war er mein Retter in der Not, wenn ich mal wieder mit meinen durch Pflastersteine hohen Hacken malträtierten Schuhen bei ihm vorstellig wurde. Ich bin immer wieder überrascht, was sich Architekten oder Städteplaner so denken, wenn sie den Bodenbelag aussuchen. Beste Posse ist doch die Fressgass in Frankfurt. Flaniermeile um die Kreditkarte glühen zu lassen und elegant ein Tässchen Espresso mit übergeschlagenen Beinen zu sich zu nehmen? Der Blick geht an die übergeschlagenen Beine herab und bleiben abrupt bei bequemen Crocs hängen?

Ich liebe es hohe Schuhe zu tragen. Je spitzer desto besser. Es gibt kaum einen Bodenbelag, der diese Absätze nicht killt.

Somit stehe ich ganz häufig mit Hundeblick und Trauerflor vor meinem Helden, um ihm meine Heiligtümer zu übergeben. Meist fast ohne Hoffnung, doch Carmelo hat mit goldenen Händen auch die schwersten Fälle nicht nur repariert, sondern im hellsten Glanz erstrahlen lassen.

Die gesamte Familie Vella hat sich zu meiner Begrüßung an den Tisch gesetzt. Maria Vella hat den kleinsten Sproß auf dem Arm und sitzt mir gegenüber. Eine kleine Prinzessin durch und durch mit dem melodischen Namen Chiara. Die dreijährige Prinzessin hat sich wahrlich hübsch gemacht. Ich schaue von Chiara zu deren Mama und schaue ihr in die Augen.

„Mein Gott,“ entfährt es mir, „du hast unglaubliche Augen“. „Was ist das für eine Farbe,“ und rücke näher an Maria heran um sie zu betrachten. Unglaublich grün-graue Augen schauen mich belustigt an und Carmelo lacht wissend.
Das Ehepaar Vella schaut sich an, als hätten sie ein Geheimnis.
Das will ich natürlich genauer wissen. „Was ist das für ein Blick,“ und schaue von Maria zu Carmelo und zurück. Wieder einmal entwickelt sich ein Gespräch in eine Richtung, welches so nicht geplant war und zu einer weiteren spannenden Geschichte führt.

„Ich habe mich in diese Augen verliebt, als ich Maria zufällig traf, und so ist es auch noch heute nach ganz vielen Jahren,“ sprach Carmelo mit zarter Stimme. Die beiden schauen sich wie jung Verliebte an und die beiden Söhne Alessia und Salvatore grinsen als wüssten sie schon, was jetzt kommt.

„Darf ich fragen, wie lange das her ist?“ „Es fühlt sich so an, als wäre es erst kürzlich gewesen,“ was natürlich in Anbetracht der Kinder nicht sein konnte. Alessio wird als Ältester der drei Kinder demnächst stolze 14 Jahre.
„Stimmt,“ lacht Carmelo. „Ich habe Maria mit 19 Jahren erstmals getroffen, da war Maria 15.“
„Ein Jahr habe ich wirklich alle Register gezogen diese Frau zu erobern.“ „Seither sind wir zusammen, haben geheiratet und diese wunderbare Familie gegründet,“ erzählte Carmelo nicht ohne Stolz. Die Beiden schauten sich erneut verliebt an. „Seither sind wir unzertrennlich,“ fügte Maria hinzu.

„Besonders ist, dass wir einst Nachbarn waren, als wir kleine Kinder waren,“ führt Maria weiter aus. „Meine Familie ist dann umgezogen.“ „Es war Zufall, dass wir uns erneut trafen.“

Nein, an Zufälle glaube ich schon lange nicht mehr. Besondere Menschen finden sich. So auch hier.

„Interessieren sich andere Menschen für unsere Liebe,“ fragt Carmelo.
„Weiß ich nicht, ob sich andere dafür interessieren, jedoch ich tue es.“
„Für welche Werte habe ich mich auf den Weg gemacht?“
„Wertschätzung, Respekt und soziale Kompetenz, und genau das stellt ihr dar.“
„Seit 2 Jahrzehnten beweist ihr, was Liebe bedeutet,“ und das ist zum niederknien.

Ich könnte jetzt weiter fragen und bin mir sicher, dass es noch ganz viele schöne Geschichten geben könnte, lenke jedoch in das Schuhmacherhandwerk ab.

Vella Werkstatt SalvatoreVella Werkstatt„Du bist ein Schumacher des alten Handwerks,“ führte ich unser Gespräch in eine andere Richtung.
„Ich habe ein ganz altes Handwerk erlernt, denn ich ging in die Lehre bei dem leidenschaftlichen Schumacher Trost in Offenbach.“
„Dieser Mann lebte seinen Beruf mit jeder Faser seines Seins.“
„Seine größte Leidenschaft war historisches Schuhwerk aus dem 16. Jahrhundert.“ „Von ihm lernte ich Schuhe aus diesen Epochen herzustellen, aber nicht mit moderner Technik, sondern tatsächlich mit ganz alten Werkzeugen.“
„Als Lehrbub bin ich mit ihm auf Mittelaltermärkte gereist, um diese Handwerkskunst mit den Werkzeugen aus dieser Zeit darzustellen.“
„Das war keine herkömmliche Schuhmacherlehre, das war tatsächlich Handwerk von der Pike auf.“
„Dieser Lehrmeister war genial und ein wahrlicher Segen für mich.“ „Ich erlernte nicht nur dieses Handwerk, sondern Meister Trost lehrte mich sein Handwerk zu lieben.“
„Ich bin diesem Menschen unendlich dankbar.“

Kurze Stille entstand und jeder am Tisch ließ diese Worte auf sich wirken. Salvatore, der 10-jährige Sohn der Beiden schaut mich mit blitzenden Augen an.

„Es fiel mir schwer mich nach meiner Lehrzeit von diesem großartigen Mann zu lösen.“ „Ich wollte aber unbedingt andere Schuhmacher und deren Techniken kennenlernen und begab mich für drei Jahre sozusagen auf die Walz.“
„Weißt du,“ erzählt Carmelo spannend weiter, „es gibt nur noch ganz wenige wirkliche Schumacher des alten Handwerks.“
„Danach bin ich in einen Großbetrieb am Flughafen, weil ich auch diese Dimensionen kennenlernen wollte.“

„…und wie hat es dich dann nach Dietzenbach verschlagen,“ fragte ich.
„Zufall, ich war zufällig bei einem befreundeten Schumacher, der sich auf handgemachte Schuhe spezialisiert hat.“ „Dort habe ich nebenbei mitgearbeitet, um auch diese Kunst weiter auszuarbeiten.“
„2003 wollte der ansässige Schuster in der Friedensstraße sein Geschäft aufgeben.“ „Das war eine schöne Chance, die ich beim Schopfe nahm.“
„Das erste halbe Jahr habe ich parallel gearbeitet.“ „Im Schichtdienst war ich am Flughafen bei dem Großbetrieb tätig.“
„Maria war mit unserem Erstgeborenen zuhause und führte das Geschäft.“ „Ich habe dann nach Feierabend in unserem Geschäft in der Friedensstraße das Handwerk ausgeführt.“
„Respekt,“ sagte ich beeindruckt. „Das war sicherlich eine ordentliche Doppelbelastung in mehrfacher Hinsicht.“
„Stimmt,“ bestätigte Carmelo und Maria nickt zustimmend.
„Nach einem halben Jahr konnte ich nicht mehr.“ „Wir haben allen Mut zusammengenommen und uns entschieden ’nur‘ noch unser eigenes Geschäft zu betreiben.

Vella in der Werkstatt fleißigVella Familie in der Werkstatt„Dich habe ich doch schon im Geschäft deines Vaters erlebt,“ sprach ich Salvatore, den 10-jährigen an. „Du hast mich einst mal abkassiert.“ Der Junge lächelt mich schelmisch an.
„Hat dein Papa dich mit seiner Leidenschaft schon angesteckt?“
Salvatore grinst und schaut mit Stolz seinen Papa an, sagt aber nichts.
Carmelo übernimmt: „Salvatore lässt sich nur ganz schwer von der Werkstatt fernhaften.“ „Wenn es nach ihm ginge, würde er kopfüber einsteigen.“ „Das geht aber nicht.“ „Seine Hände sind noch zu klein, um die Werkzeuge richtig einzusetzen.“ „Es bedarf oft schlicht der körperlichen Kraft.“ „Eine Lederschere zu führen und damit richtig zu schneiden ist mit diesen kleinen Händen nicht möglich.“ „Salvatore wartet förmlich darauf größer und älter zu werden, um meine Argumente zu entkräften,“ sagt Carmelo und wuschelt seinem Sohn über die Haare.

„Und du, was ist mit dir,“ frage ich Alessio den ältesten Sohn. „Ich interessiere mich eher für die Computer Technik und weniger für das Handwerk.“ Carmelo unterstützt auch hier: „Interessieren ist schön.“ „Zeige einmal deine App, die du letztes Jahr mit deinem Freund erstellt hast.“ „Ach das ist noch nicht ausgereift,“ führt dieser Junge bescheiden aus und sucht für mich auf seinem Mobiltelefon sein Werk.
Ich lese Japita. „Was kann diese App,“ fragte ich interessiert.
„Du kannst in Gruppen chatten und fügt mal flugs seine Familienmitglieder einer Gruppe bei.“
„Was bedeutet Japita,“ wollte ich wissen. Die Familie lacht. „Diese App habe ich mit meinem Japanischen Freund erstellt und ich bin Italiener. Also Jap ita.“

Was für eine Familie, denke ich. Die größte Begabung bei allen ist ganz klar deren menschlichen Werte. Füreinander, miteinander, zueinander und aneinander wirklich interessiert und zugewandt.

„Seit wann seid ihr dann Dietzenbacher geworden,“ führte ich das Gespräch weiter fort.

„2007 sind wir schließlich nach Dietzenbach gezogen und leben seit 2009 in unserem eigenen Haus hier in der Rathenaustraße.“ „Unsere Träume haben sich Stück für Stück verwirklicht.“ „Ich habe einen Beruf aus Berufung.“ „Wir leben eine wunderbare Ehe.“ „Wir haben eine großartige Familie,“ und alle am Tisch nicken mit leuchtenden Augen.

Jedes Einzelne seiner Aufzählungen alleine ist schon fast wie ein 6er im Lotto, dachte ich. Alle Aufzählungen hat Carmelo als Familienoberhaupt im WIR stellvertretend erklärt und nicht im Ich, Ich, Ich.
Jeder in dieser Familie hat seinen anerkannten Platz. Stolz aber auch gleichermaßen angenehme Demut ist spürbar. Ganz sicher eine weitere Begabung in dieser Familie und vermutlich das Geheimrezept für ein in Liebe gelebtes Leben.

Es ist mir eine große Ehre euch kennengelernt zu haben und freue mich auf die Zeit in eurem Sein.

Ganz herzlich

Eure blaue Bank – Azzuro

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One thought on “Handwerk hat goldenen Boden oder sowas wie Regazzo della via Gluck

  1. Hallo Carmelo,
    ich/ wir wünschen Euch weiterhin alles Gute .
    Ein schöner Bericht , ein bewegtes Leben.

    Andreas mit Familie

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