Titelbild GiggelZum 1. Mai und zum Vatertag ist es Pflicht zu den Dietzebacher Giggelschers zu fahren. So auch ich.
Auf dem Fahrrad, bei warmen Temperaturen des Frühlings, wird sich auf den Weg gemacht.
Der Weg ist wie eine weitere Tradition festgelegt und führt durch Dietzenbach über die Angler zu den Giggelschers.
Alljährlich absolvieren die Dietzenbacher meist sportlich mit dem Rad diesen Rundparcour und wird mit hoch die Tassen im Kreise der Dietzenbacher honoriert….

Unsere Giggelschers bieten aber weitaus mehr….Gockel 5

Elfriede Fritsch, die Frau des 1. Vorsitzenden der Giggelschers, hat sich einst auf mir niedergelassen, als ich vor dem Restaurant „Herrmanns“ in Alt-Dietzenbach gastierte.

Elfriede

….und so traf ich auf unsere Giggelschers…

Ich lernte unseren Geflügelzuchtverein 1927 aus einer ganz anderen Perspektive kennen.
Vor den Toren Dietzenbachs befindet sich die Anlage des sehr alten und traditionsreichen Vereins.

An dem Vereinslokal vorbei ging ich durch das Tor der Anlage und blieb stehen.
Es war, als wäre ich in eine andere Welt abgetaucht.

Eben noch zwischen sanierten Fachwerkhäusern der Altstadt mit seinen schönen Geschäften stand ich nunmehr in der Anlage des Traditionsvereins.

Blumen und Hecken durchdacht arrangiert, liebevoll über Jahre angelegte Details, lassen einen vergessen, dass es sich um Gefügelzucht handelt und nicht um einen prämierten Landhausgarten.

Direkt am Eingangstor schaut man auf ein übergroßes Vogelhaus empor. Es sieht nicht wie ein Vogelhaus aus, sondern eher wie ein Baumhaus, welches liebevoll für die Enkel im Detail erbaut wurde.

Die Anlage erinnert mich an Asterix und Obelix bei den Briten.

Pikobello, kein Blatt vom herbstlichen Laub zu sehen und der Rasen in einer Pracht, dass es mich nicht gewundert hätte, ein Mitglied mit Schere bewaffnet hier und da ein Grashälmchen schneiden zu sehen.

Ich war beeindruckt.

Ich wurde auf knirschendem Kies an die einzelnen vermieteten Hühnerparadiese vorbeigeführt.

Ich erinnerte mich sofort zwischen all dem Kikerikie und pooapoooa der Hühner an Uschi Heusels lustig erzählte Geschichte über deren Hühner. „Hühner sind echt witzig.“ „Ich könnte ihnen stundenlang zusehen,“ erzählte Uschi seinerzeit und hält ihre Wahrnehmungen mit deren Federvieh entsprechend lustig mit „Gerda“ in deren Zeichnungen fest.

Eine weitere Variante erlebe ich durch die leidenschaftlichen Ausführungen von Karl-Heinz Fritsch kennen.

Seit Jahrzehnten engagiert er sich mit Liebe für seinen Verein und nicht zuletzt für sein „Federvieh“, jedoch nicht zum Schlachten oder wie bei Wilhelm Busch’s:

Mancher gibt sich viele Müh‘
Mit dem lieben Federvieh;
Einesteils der Eier wegen,
Welche diese Vögel legen;
Zweitens: Weil man dann und wann
Einen Braten essen kann;
Drittens aber nimmt man auch
Ihre Federn zum Gebrauch
In die Kissen und die Pfühle,
Denn man liegt nicht gerne kühle.

In diesem traditionsreichen Verein geht es um den Rassenerhalt und hier wird es sehr spannend.

Ich kam also zu einem der wichtigsten Tage als Gast zu unserem Geflügelzuchtverein.

Die Zuchterfolge werden durch anerkannte Prüfer nach 120 Jahre alten Rassestandardwerke bewertet. Alle waren aufgeregt, auch das im Gemeindesaal des Vereins aufgestellte Federvieh.

Wenn ich vormals dieses „Hobby“ belächelte, so prägten sich heute erneut die Werte wie Respekt, Wertschätzung und soziale Kompetenz durch diese engagierten Menschen.

„Du, ich hab jetzt wenisch Zeit,“ begrüsste mich der 1. Vorsitzende mit hochgekrempelten Ärmeln aus der Küche.

„Ich stell dir unseren Zuchtwart, Kassenwart, ach was sag ich, ich stell dir den Richtigen vor, der dir alles erklären und erzählen kann.“
„Wo isser denn?“
„Hat einer den Günther gesehen?“
„Ach hier isser.“
„Günther, kommst du mal?“
„Dess is die blau Bank.“
„Die iss am Wochenend zu Besuch bei uns.“
„Erzähl ihr doch en bissi, damit sie was Schönes schreiben kann…,“ stellte mir Karl-Heinz seinen Freund und Mitstreiter Günther Weller vor.

Zwischen den aufgestellten Käfigen mit wahrhaftigen Schönheiten, zwischen pooapooapooa und Kikerekies und vielen eih guude Günther nahm sich dieser bescheidene, tief wissende und sehr humorvolle Mann unter seine Fittiche und erzählte.

„Jetzt bin ich aber neugierig, wie zwischen Bauern in Dietzenbach ein Geflügelzuchtverein entstanden ist,“ stellte ich meine erste Frage.

„Weißt du,“ begann Günther mit leiser Stimme, „1927 war eine ganz arme Zeit.“
„Das Futter war rar und keiner hatte Geld, um zu investieren.“
„Da haben sich eine Handvoll Männer zusammengetan, um zuerst einen gemeinsamen Einkauf, als auch Handel mit Hühner zu tätigen.“
„Das war sehr klug, denn alleine hätte keiner dieser Männer vernünftig handeln oder investieren können.“
„Die erste Brutmaschine war ein wesentliche Errungenschaft zur eigenen Kükenproduktion und eine wichtige Innovation.“
„Vormals hat unser Verein ganz klar nach Wilhelm Busch gehandelt.“
„Das Huhn stellte einen wesentlichen Beitrag zur Ernährung bei.“
„Heute züchten wir nicht mehr um unser Federvieh zu unserer Ernährung zu schlachten.“
„Wir arbeiten nach einem 120 Jahre alten Rassestandardwerk, um die über 300 bestehenden Rassen vor dem Aussterben zu bewahren.“

Ich schaute mich um.
Ausstellung
In dem großen Gemeindesaal waren die schönsten Tiere ausgestellt.
Heute sollte sich unser Traditionsverein den Prüfern und Sachverständigen stellen.
Spezialisten prüfen nach einem seit 120 Jahren anerkannten Rassestandardwerk.

stolzer Gockel

Der ganze Saal war erfüllt mit Kikerikie und scharrendem Federvieh in prächtigen Farben.
Ich musste lächeln…
Jetzt verstehe ich die Aussage: „Der läuft rum wie ein Gockel“….
Stolz und anmutig präsentieren sich diese wunderbaren Geschöpfe, als wüssten sie, um was es heute geht.
Germany next topmodels im Rampenlicht mitten in unserem lauschigen Dietzenbach.

Günther holt mich in meinen Überlegungen ab.

„Weißt du, es geht hier nicht nur um profane Züchtung von Hühnern und Vereinsmeierei.“

„Wir tragen einen entscheidenden Beitrag zum Rassenerhalt und Tierschutz bei und reformieren Extremzüchtungen.“
„U.a. arbeiten wir eng mit der Wirtschaftsgeflügelzucht zusammen.“
„Auch da haben wir in den vergangenen Jahrzehnten erhebliches Wissen erarbeitet und zu weiteren Erkenntnissen beigetragen.“
„Die Befürfnisse des Marktes oder der Konsumenten verändern sich.“
„Heute muss es ein Ei mit goldgelben großen Dotter sein und morgen aufgrund des erhöhten bösen Cholesterinwerte vielleicht das Gegenteil.“

„Um diese Entwicklung betreiben zu können, greift die Wirtschaftsgeflügelzucht auf unser Wissen und Forschung der Züchtung zurück.“

Gockel 2

„In Deutschland gibt es 250.000 Züchter die sich wie wir zur Aufgabe gemacht haben gefährdete Rassen zu züchten.“

„Deshalb bestehen wir in unserem Verein darauf, dass hier keine Hybrid gezüchtet wird, sondern ausschließlich Rassen.“

„Ich könnte dir noch endlos weitererzählen, denn Rassen-Zucht ist ein wirklich spannendes Thema,“ führte Günther mit leuchtenden Augen weiter aus.

Ich saß vor diesem hochgewachsenen Mann wie ein kleines Mädchen, welches gerade spannende Geschichten vor dem Kaminofen erzählt bekommt.

„Du siehst hinter jedem dieser Gehege stehen über Jahrzehnte gewachsenes Wissen,“ erzählt dieser sympathische Mensch.
„Dieses Wissen fliegt dir nicht einfach nur so zu, wenn du Hahn und Henne in ein Gehege setzt.“

„Ich gebe dir ein kleines Beispiel….
Vor einer Ausstellung wie dieser müssen die Hennen vom Hahn getrennt werden,“ erkläre Günther und in seinen Augen blitzte der Schalk.

„Wieso das denn?“

„Damit der Gockel sich vor lauter Sehnsucht noch mehr in die Brust schmeißt,“ fragte ich mit meiner Unkenntnis und stolperte direkt in die Pointe.

Günther musste sich von einem kleinen Lachanfall erholen, bevor er mit versuchtem Ernst erklärte: „Wenn sich Hahn und Henne in einem Gehege befinden, wird die Henne vom Hahn bestiegen und sieht danach wie gerupft aus.“

Ach daher kommt der Begriff: „Du siehst aus, wie ein gerupftes Huhn“…
Jetzt lag ich unterm Tisch vor Lachen.
Ich verstand was er meinte und hatte ein Bild vor Augen.

Wie im richtigen Leben, eben….
Wer will schon eine derangierte Henne in einer Ausstellung betrachten….

„Je nach Gusto kann sich jeder in unserem Verein einbringen,“ führte Günther zaghaft unser Gespräch wieder in eine ernsthafte Ebene.

„Einer lernt’s nie und hat Mühe Hahn und Henne auseinanderzuhalten und andere absolvieren ein Studium zum Thema Rassenerhalt.“

„Rassenerhalt oder reformieren von Rassen bedarf eines langen Atems, da es über verschiedene Generationen in der Zucht geht.“
„Nach der mendelsche Vererbungslehre ist ein Huhn vielleicht schwarz-weiß und in den weiteren Zuchtentwicklungen geduppt.“
„Das entwickelt sich nicht von einem Tag auf den anderen.“
„Das bedarf der Geduld und Wissen.“

„Grundlegende Fehler, kann man in der Zucht keine machen.“
„Es kann von Niemandem verlangt werden von Null auf Hundert in die Thematik der Rassezucht einzusteigen.“
„Es ist eher, dass unsere Mitglieder irgendwann die Leidenschaft für das Federvieh erkannten und zu uns kamen.“
Wir bieten unseren Mitgliedern unser über Jahrzehnten erlangtes Fachwissen und unterstützen sie in deren Zuchtaktivitäten.“

„Letztlich fängt man ja auch nicht an Geige zu spielen, wenn man sich versucht ein Instrument zu erlernen,“ sprach Günther und zwinkerte mir zu.

Wie auf’s Stichwort wurden wir von Besuchern der Ausstellung unterbrochen.
„Wir wurden zu Ihnen geschickt.“
„Sie sind einer der Vorstände des Vereins, wurde uns gesagt.“
„Wir haben vor einigen Jahren die Leidenschaft für Hühner entdeckt,“ sprach der Besucher und lächelte seine Frau zu.
„In unserem Garten haben einige Exemplare, die uns viel Freude bereiten.“
„Wir würden uns gerne mehr mit diesem Hobby beschäftigen.“
„Besteht die Möglichkeit Ihrem Verein beizutreten und ein Gehege anzumieten,“ fragte der Besucher mit seiner Frau. „Wir haben gesehen, dass ein Gehege frei ist.“
„Stimmt,“ sagte Günther. „Lassen Sie uns später sprechen.“
„Ich werde mir sehr gerne Zeit für Sie nehmen,“ und wendete sich wieder mir zu.

Ich fühlte mich geehrt.

„Was wird denn in einem Gespräch mit potentiellen Bewerbern besprochen,“ wollte ich wissen.
„Polizeiliches Führungszeugnis oder Gesundheitspass“…
„Nicht ganz,“ sagte Günther und lächelte.
„Die Menschen müssen zu uns passen.“
„Im Prinzip sind die Werte, für welche du dich auf den Weg gemacht hast, die wichtigen Faktoren, um Mitglied bei uns zu werden.“
„Wertschätzung, Respekt und soziale Kompetenz müssen mitgebracht werden.“
„Alles andere kann man lernen,“ und wieder schenkte mir Günther erneut sein verschmitzte Lächeln.

Ich schrieb meinen Füller leer und hätte noch Zeit und Raum vergessend weiter zuhören können.

Günther Weller brachte mir nicht nur diesen Verein und seine traditionsreiche engagierte Arbeit näher, sondern ich blickte über meine Schulter zu den wahrhaftigen Schönheiten und verstand was einst Uschi humorvoll erwähnte, jedoch auch da schon einen deutliche Tiefgang hatte.

Damals hat sich mir der tiefere Sinn noch nicht erschlossen.
Heute schon.
Ich verneige tief mein Haupt und danke Karl-Heinz und Günther für diese weitreichende Lehrstunde – nicht nur in Bezug auf diese wunderschönen Giggelschers…

Ich komme wieder…. Sehr gerne und ganz bestimmt.

Hätte ich einen Garten, wäre die Gefahr groß, dass meine Pauline sich an wundervolles „Hühnervieh“ gewöhnen müsste….

Ganz herzlich, eure blaue Bank

 

gockel 4

 

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.