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Der Titel dieser Geschichte könnte anmuten, dass es sich um eine Büddenrede handelt.
Weit gefehlt. Es ist eine wunderbare Geschichte, die nur das Leben schreiben kann.

Würde ich die Geschichte in einem Film konsumieren, würde ich lächelnd abwinken, weil das Drehbuch so auf den Punkt geschrieben ist, und fast zu schön ist, um wahr zu sein.

Fatma Mitiler war eine der allerersten Anwärter, die sich bei mir meldete, um mir ihre Gastfreundschaft anzubieten auf meinem Weg durch unsere dörfliche Gemeinschaft.

Endlich haben wir einen gemeinsamen Termin gefunden.
Am 15. Januar 2016 war es soweit.
Wie die Königskinder kamen wir endlich zusammen.

Mein Enkel hilft mitGemeinsam mit einen meiner Enkel wurde ich entladen und auf Händen meiner Gastgeberin auf meinen Platz getragen. Dort sollte ich die nächsten zwei Wochen zuhause sein.

das richtige PlätzchenNoch einmal kurzes Probesitzen und weiter geht die spannende Reise durch unsere dörfliche Gemeinschaft.

Probesitzen probesitzen angekommenÜblicherweise nehme ich mir während meines jeweiligen Gastspiels Zeit, um meine Gastgeber näher kennenzulernen. Irgendwie war diesmal der Wurm drin. Klappe die Zweite zum Thema Königskinder die hatten einander so lieb,sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.

Fatma und ich waren in den vergangenen Wochen extrem gefordert, ohne zu ahnen was uns jeweilig so forderte.
Wir riefen uns nur immer kurz über die Schulter mit einem entschuldigendem Lächeln zu, dass wir ganz bestimmt die nächsten Tage Zeit für ein gemeinsames Gespräch finden würden.

So vergingen 3 Wochen.
Ich verschob die nachfolgenden Termine meiner weiteren Reise durch Dietzenbach um eine weitere Woche.
Gerade Fatma, die so treu von der allersten Stunde an meiner Seite war, wollte ich näher kennenlernen.

Manchmal halte ich inne und bin immer wieder überrascht, wie sich Dinge wie von Zauberhand fast zufällig fügen.
So ein Moment ist jetzt.
Auch meine letzten Wochen waren turbulent.
Ich konnte es mir nicht verkneifen meine neutrale Ecke zu verlassen und mal kurz und knapp zwischen die Hörner zu hauen.
Exzessiv und definitiv ohne jedweden Respekt, Wertschätzung und nach der sozialen Kompetenz muss man lange mit der Lupe suchen, werden die Auswirkungen eines Krieges mit Hetzkampagnen begegnet.

Karamba, mir kocht das Blut, musste ich meinem Herzen Luft machen.
Selbstverständlich bleibt es bei mir nicht nur bei Worten.
Ich lasse Taten folgen.
Somit bin ich knöcheltief in der Planung für Lösungen für unsere dörfliche Gemeinschaft, oder soll ich sagen dem kleinen gallischen Dorf?
Ich denke, Mitte März werden wir beginnen können.
Einen Projektnamen habe ich schon: „Uffgebasst, wir sinn Dietzzebach.“

„Wir müssen uns freischaufeln, liebe Fatma, sonst wird das nix,“ sprach ich ernsthaft.
„Es muss ja nicht lange sein.“
„Wir haben vor ‚lauter-lauter‘ uns beide vergessen.“
„Lasse uns das Rad mal kurz anhalten,“ bat ich meine Gastgeberin.
Die Frau mit den warmen, lustigen Augen schaute mich lächelnd an.
„Wollen wir am Sonntag einen Kaffee zusammen trinken,“ schlug sie vor.
„So wird’s gemacht,“ erwiderte ich.

So saßen wir gestern in deren wunderschönem Haus mit Blick auf das Feld und die Geschichte nahm wie immer einen unerwarteten Verlauf.
Ich kann nicht genau sagen, wie wir darauf gekommen waren, denn harmlos hakte ich bei einen der wenigen Informationen ein, die ich von Fatma hatte.

„Du hast erwähnt, dass du schon seit vielen Jahrzehnten Dietzenbacherin bist.“
„Seit wann lebst du hier?“
„1969 wurden händeringend weitere Gastarbeiter gesucht, da die italienischen Gastarbeiter nicht ausreichend waren,“ begann die spannende Geschichte, die nicht besser zu den Themen Dietzenbachs passen könnte.
„Mein Papa bewarb sich seinerzeit in Dietzenbach und wurde angenommen.“
„Er ging erst alleine und ließ meine Mama und meine Geschwister in Düzbag zurück.“
„Mein Papa lebte mit weiteren Gastarbeitern in einer Wohngemeinschaft zusammen.“
„Erst 1974 konnte uns unser Papa nach Dietzenbach holen und unsere Familie endlich wieder zusammenführen.“

Ich hielt kurz inne, um meine Gedanken zu ordnen.

Im Zusammenhang unserer gegenwärtigen Situation habe ich an die 70ziger gedacht.
Ich bin ein Oberräder Krautarsch und entstamme dem Frankfurter Vorort Oberrad.
Einem Dorf ähnlich wie Dietzenbach, mit vielen Gärtnern, Gemüse- und Kräuterbauern.
Als seinerzeit die italienischen Gastarbeiter das dörfliche Bild einfärbten, gab es ein ähnliches Hallo, wie wir es jetzt gerade erleben.
Hetzkampagnen gegen die Andersartigkeit.

Die Spagettifresser, die heute aus unserem Bild der Ristorantes, der Pizzerien, der Espressokultur a lá George Clooney, den Edelitaliener und den Pasta-Koch-Hype hoch und runter, den Edeldesigner Armani oder von heiß beworbenen Möbeln „who’s perfect“ nicht mehr wegzudenken ist.

Einst hat es fast eine Palastrevolution gegeben, als unser Dorf diese Gastarbeiter als ganz schlechte Gastgeber in unserem Leben hätten integrieren sollten.
Es waren fast die gleichen Hetzparolen wie heute.
Man braucht nur die Namen der Politiker und die Länder auszutauschen und tataaaa, hätten wir fast den gleichen O-Ton an Ängsten und Parolen.
Heute sind es die „Türken“ die trotz der vielen Jahre immer noch nicht abgelöst worden sind, obwohl wir uns unser Plätzchen auf dieser Welt mit gar viele Nationalitäten teilen.
So auch in unserer dörflichen Gemeinschaft Dietzenbach.

„Mein Papa war einer der ersten türkischen Gastarbeiter in Dietzenbach,“ holt mich Fatma aus meinen Überlegungen ab.
„Vor einigen Jahren gestaltete unser Heimatmuseum eine Ausstellung zu diesem Thema.“
„Im Zuge der Recherchen stellten die Organisatoren fest, dass Mustafa Solak einer der allerersten Gastarbeiter in Dietzenbach war.“
„Mein Papa war zu der damaligen Veranstaltung als Ehrengast und Zeitzeuge eingeladen und referierte zu diesem Thema.“
„Kannst du dich noch an die Anfänge erinnern,“ wollte ich wissen.
„Ich war zwei Jahre alt.“
„Ich kann mich an mein Leben vor Dietzenbach nicht mehr erinnern.“
„Für mich ist Dietzenbach mein Leben.“
„Selbstverständlich weiß ich wo meine Wurzeln sind.“
„Durch Urlaube und weitere Verwandtschaft sind mir diese Wurzeln bewusst.“
„Es ist was es ist,“ sagt die kluge Frau mit den wachen Augen.
„In Dietzenbach bin ich zuhause, die Türkei ist meine Heimat und in Dietzenbach bin ich mit meinem Leben nunmehr tief verwurzelt.“
„Besser kann man es nicht formulieren,“ dachte ich.
„Meine Heimat Oberrad ist wohl nicht so weit von Dietzenbach entfernt wie die Türkei. Anders als Fatma lebe ich erst seid Anfang der 90ziger in unserer Gemeinschaft, jedoch bin auch ich sozusagen immer noch ein Eingeplackter für unsere ‚Ureinwohner‘.“
Ich muss grinsen, denn unterm Strich bin ich in Dietzenbach eigentlich als Frankfurterin auch eine Ausländerin. Bemerkenswert!
„Seit fast 20 Jahren engagiere ich mich in Dietzenbach,“ führt Fatma weiter aus und ihre warmen Augen blitzen freundlich.
„Als meine eigenen Kinder auf die Welt gekommen sind, war ich engagiert in der Initiative „Türkische Mutter und Kind Gruppe“ von der AWO.
„Wie kann ich mir das vorstellen,“ wollte ich wissen.
„Ganz einfach, wir suchten Lösungen für die Probleme.“
„Wir trafen uns mit den Müttern und Kindern.“
„Wir waren Ansprechpartner aber auch Schnittstelle zu den Kindergärten und später Schulen.“
„Wir überlegten uns Lösungen, um unseren Kindern in deren Alltag der Integration behilflich zu sein.“
„In dieser Gemeinschaft haben wir uns lösungsorientiert  füreinander und miteinander engagiert.“
„Später war ich in der Schulbücherei tätig, welche von Eltern eigenverantwortlich geführt wurde.“

„Wenn ich es jetzt so bedenke, habe ich mich in vielerlei Integrationsthemen eingebracht.“
„Irgendwie war ich als Bürgerin in der ortsansässig integrierenden Vereinigungen tätig um ‚Ausländer‘ zu integrieren, jedoch bin ich trotz der vielen Jahre und trotz allem Engagement, immer noch Ausländerin, also nicht dazugehörend.“

Was für ein Gefühl muss das sein, denke ich für mich.

„2011 habe ich an dem Integrationskonzept der Stadt Dietzenbach mitgearbeitet und seit 2015 engagiere ich mich als ‚Vereinslotsin‘ in der Interessengemeinschaft Sport der Stadt Dietzenbach,“ führt Fatma die lange Liste ihres Tuns aus.
„Vereinslotsin stelle ich mir wie ein Schülerlotse vor, der mit der Kelle in der Hand den Verkehr anhält, damit die Schüler unbeschadet die Straße überqueren können,“ dachte ich laut.
Fatma lachte, „schönes Bild, jedoch ist es eher wegweisend oder empfehlend, wenn sich unsere ausländischen Bürger oder deren Kinder sportlich in einen unserer ortsansässigen Vereinen integrieren möchten.“
„Ich biete das Wissen, welche Vereine welche Leistung bieten, welche Ausstattung oder Investition erforderlich sind.“
„Ich stelle den Kontakt her und begleite die interessieren Menschen.“ „Die Stadt bietet durch unsere Arbeit schlicht einen Ansprechpartner.“
„Schlicht?“ denke ich.
„….und dennoch,“ führt Fatma weiter mit leiser Stimme aus und nestelt mit dem Tischtuch, „habe ich mich immer angesprochen gefühlt, wenn von Ausländern gesprochen wurde, obwohl im gleichen Raum ganz viele Nationalitäten waren, hatte ich das Gefühl, dass Türken die Ausländer sind.
Wir schweigen und hänge beide unseren Gedanken zu dieser Aussage nach.

Da sitzt diese aufrechte Bürgerin unserer dörflichen Gemeinschaft.
Eine gestandene, intelligente, engagierte, warmherzige Frau wie Fatma bekommt immer noch das Gefühl  selbst nach 42 Jahren mit derartigem Integrationsengagement vermittelt Ausländer zu sein und nicht dazu zu gehören?

Ich schaue Fatma an und habe Gänsehaut.

Let’s stay together….

Ich schaue mich in dem picobello geführten Haushalt um.
Mein Blick bleibt auf dem dezent im Wohnzimmer sitzenden Ehemann hängen.
Erst kürzlich haben die Beiden Silberhochzeit gefeiert.
Zwei wohlerzogene und gebildeten Jungs komplettieren das Gesamtbild einer ehrenwerten Familie.

Der Jüngste arbeitet fleißig Richtung Abitur.
Der Erstgeborene studiert in Darmstadt und wird Deutschland hoffentlich mit seinen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen genau so erhalten bleiben, wie der Rest dieser wertvollen Familie.

Es ist kein Zufall, dass Fatma’s Papa 1969 in unser Dorf kam.
Es ist kein Zufall, dass  Mustafa Solak ein ehrbarer und treuer Bürger Dietzenbach’s wurde.
Es ist kein Zufall, dass Herr Solak seinen Mut und Engagement an seine Tochter weitergegeben hat.

Es gibt keine Zufälle….

Ich bin dankbar, dass ich die bezaubernde und engagierte Frau und deren Familie kennenlernen durfte.

Bleibt man so wie ich einen Augenblick stehen und betrachtet sich das Gesamtbild, müsste unsere dörfliche Gemeinschaft stolz wie Bolle sein, solche Menschen zu unserer Gemeinschaft zählen zu dürfen.
Ich bin es, auch wenn ich selbst nur ein „Eingeplackter“ bin….

„Darf ich dich zu meinem Projekt `uffgebasst, wir sinn Dietzzebach‘ einladen, wenn es soweit ist?“
„Es wäre mir eine Ehre, wenn du dabei währst,“ schloss ich sehr bewegt unser Gespräch.

„Wann auch immer du meine Unterstützung benötigst, lasse es mich wissen,“ sprach ich und meinte es aus tiefsten Herzen.Abschied

 

 

 

 

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One thought on “Genau so geht es…. Uffgebasst, dess is Dietzzebach

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